VEB Chemische Fabrik Finowtal

Die Produktion von Azetylzellulose

Chemie: Die korrekte Bezeichnung „Zellulosetriacetat“, ein Essigsäureesther der Zellulose. In unserem Fall sind alle 3 OH-Gruppen des Zellulosemoleküls verestert. Herstellung: Ausgangsmaterial: Baumwolllinters. Das sind die Kurzfasern der Baumwolle, die für die Textilindustrie nicht geeignet sind. Sie sind hochreine Zellulose. Das Problem, nur die Firma Temming in Hamburg war in der Lage diese Linters in einer für die Veresterung geeigneten Qualität herzustellen. Alle Versuche, auch in der DDR geeignete Linters zu produzieren, scheiterten. Besonderheit der Produktion im VEB CFF: Die Reaktion erfolgte, ohne das die Linters in Lösung gingen. Die Umsetzung erfolgte in sog. Siebtrommeln. In einem Edelstahlgehäuse befand sich eine Trommel mit durchlöcherten Wänden und einer Hohlwelle. Diese Trommel wurde per Hand mit den Linters befüllt. Dazu musste ein Kollege in die Trommel kriechen und die Lintersballen gleichmäßig packen. Danach wurden Trommel und Gehäuse flüssigkeitsdicht verschlossen. Ähnlich wie bei einer Trommelwaschmaschine konnte die Trommel mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten rotieren. Während der Reaktionsphase mit 2 U/min und zum Abschleudern der Reaktionsflüssigkeiten mit 200 U/min. Um diese zwei Geschwindigkeiten zu erreichen, hatte die Siebtrommel zwei Motoren. Für die langsame Drehzahl einen Drehstrommotor mit Untersetzungsgetriebe, für die Schleuderdrehzahl einen Gleichstrommotor, der über eine sog. Überholkupplung auf dieselbe Welle wirkte. Das Problem: der Schleudervorgang erforderte ein zügiges Hochfahren der Drehzahl auf die maximale Tourenzahl. Erreicht wurde dies durch eine gittergesteuerte Gleichrichtung über Quecksilberdampfgleichrichter in der sog. Intronanlage. Da alle Zentrifugen eine sog. kritische Drehzahl haben, bei der starke Schwingungen auftreten, musste diese Drehzahl zügig überfahren werden. Die Reaktionsflüssigkeiten wurden umgepumpt, d.h.aus dem Gehäuse abgesaugt und über die Hohlwelle wieder in die Trommel gedrückt.

Die Chemie der Veresterung:

1. Stufe:  Eine Vorbehandlung mit Essigsäure. Sie diente dazu, die Linters gleichmäßig zu durchfeuchten und reaktionsfähig zu machen.

2. Stufe:  Die Veresterung mit einer Mischung von Essigsäureanhydrid und Tetrachlorkohlenstoff. Als Reaktionsbeschleuniger wurde Wasserstoffperoxid zugesetzt.

3. Stufe Wäsche: Nach dem Abschleudern der Reaktionsflotte wurde gewaschen. Diese Wäsche erfolgte zur Wassereinsparung nach dem Schiebeprinzip. Die 1.Wäsche erfolgte mit dem Waschwasser mit der höchsten Belastung. Die 2. Wäsche dann mit dem geringer belasteten Wasser und so weiter. Die jeweiligen Waschwässer wurden in den sog. Schiebewasserbehältern zwischengelagert.

4.  Entleerung und Trocknung. Nach der letzten Wäsche erfolgte das sog. Trockenschleudern. Danach wurden Gehäuse und Trommel wieder geöffnet und die azetylierte Zellulose mit langen Kratzern in kleine Wagen entleert. DIe Zellulose hatte sich optisch scheinbar nicht verändert. Die Wagen wurden per Fahrstuhl in das Trocknergebäude gefahren. Dort wurde von Kollegen die Azetylzellulose mit einem Ventilator in einen Bandtrocker geblasen und nach dem Trocknen in Ballen gepresst.

Eine Überwachung der Qualität ist während des gesamten Prozesses nicht möglich. Erst nach dem Trocknen wurde die sog. Azetonlöslichkeit geprüft. Dabei wurde eine Probe in Azeton gelöst und der unlösliche Rückstand geprüft. Erst wenn dieser Wert eine bestimmte Marke nicht überschritt, erfolgte die Freigabe der Charge.

Nebenanlagen:

– Lager: Alle Rohstoffe wie: Essigsäureanhydrid, Tetrachlorkohlenstoff, Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid wurden im Rohstofflager auf Vorrat gehalten. Ebenso wurden die gebrauchte Vorbehandlung und die gebrauchte Azetylierungsflotte zwischen gelagert. Das Waschwasser wurde als entionisiertes Wasser vom Kraftwerk geliefert.

– Aufarbeitung: Die gebrauchten Flotten wurden in einer Destillationsanlage aufgearbeitet, um wieder eingesetzt zu werden.

Hauptprobleme:

– Korrosion: Aus dem Tetrachlorkohlenstoff entsteht während der Reaktion eine geringe Menge an Salzsäure. Die Mischung aus Schwefelsäure,Essigsäureanhydrid und Salzsäure ist korrosionstechnisch kaum zu beherrschen, schon gar nicht unter den damaligen Bedingungen in der DDR. Die einzigen Materialien die standhielten waren Keramik, Silber und Teflon( als Dichtungsmaterial). In der Destillation waren für Behälterauskleidungen und Rohre 80 t Silber verbaut.

Da Teflondichtungen für die Stopfbuchsen der Pumpen nicht zur Verfügung stand, gab es natürlich unglaublich hohe Leckverluste. Um die sehr starke Überschreitung der Materialverbrauchsnormen in den Griff zu bekommen, führte der Betriebsdirektor, Walter Nürnberg, die sog. Materialeinsparprämie ein. Das Wirkprinzip war einfach. Ausgangspunkt waren die aktuellen Materialverbräuche. Wurden die Verbräuche gesenkt, wurden 1/3 des eingesparten Geldes als Prämien gezahlt. Gleichzeitig waren die erreichten Werte die neuen Normen. Die Wirkung dieser Maßnahme war gigantisch. Jede bemerkte Leckage wurde auf dem schnellsten Weg beseitigt. Im Endergebnis wurde erreicht, dass die Produktion von Azetylzellulose von  Kosten von 12000 Mark pro Tonne auf 4000 Mark sank, dem realen Kostenwert.  Leider wurde kurz darauf die Produktion eingestellt.

Die Produktionseinstellung. Unsere Azetylzellulose wurde zu 100% zu VEB Kodak Köpenick geliefert, die daraus die Unterlage für Röntgenfilme herstellte. Der VEB ORWO Wolfen hatte es stets verstanden, für seine Filmproduktion die Rohstoffe aus „Westimporten“ zu beziehen. Ich habe in der Einleitung erwähnt, dass es sich bei unserem Produkt  um Zellusosetriazetat handelte.  Für die neu auf dem Markt erschienene Azetatfaser (Dralon) war unser Produkt nicht geeignet, da brauchte man ein sog. 2 1/2 Azetat, das mit unserer Technologie nicht her zustellen war. Also beschloss die Regierung, im VEB Celluloidwerk Eilenburg ein neues Werk zur Herstellung von Azetylzellulose nach dem Lösungsverfahren zu bauen. Grundlage war eine sowjetische Lizenz. Damit war das Aus für die AC-Produktion in Finowtal besiegelt. Ein Wort zum Schluß. Die bei der Demontage der Destillationsanlage gewonnenen 80 t Silber brachten beim Verkauf infolge des Anstiegs des Silberpreises auf dem Weltmarkt auf das 8-fache soviel Geld ein, dass der neue CMC – Betrieb damit finanziert werden konnte.

Der Terpenbetrieb

Im Terpenbetrieb wurden folgende Produkte hergestellt:

  • Camphen,
  • Isobornylacetat,
  • Kampfer techn.,
  • Reinkampfer,
  • Lösungsmittel Dipenten F4 und F20,
  • Terpineol,
  • Terpinylazetat,
  • Natriumazetat und
  • Isoamylazetat