Die fünfte Generation: die IKARUS-GANZ-Obusse und Anschluss Brandenburgisches Viertel (1984 bis1992)
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Um noch einmal auf Bild 11 zurückzukommen: Die Ölkrise hatte die Forderung gestellt, billigere Obusse zu produzieren. Deshalb wurde in Ostrow nad Ohri (CSSR) ein neuer Obustyp mit der Bezeichnung SKODA „14Tr“ produziert. Die wichtigste technische Neuerung war die Thyristorsteuerung, die die Bremsenergie als Strom in die Oberleitung zurückführt.
Zur gleichen Zeit (1984/85) wurde auch in Ungarn ein neuer Obustyp entwickelt, der in Großserien mit gleicher Karosserie für KOM und Obus die Preise der Busse bei Kauf und Instandhaltung wesentlich senken sollte. Das wurden dann die IKARUS „280T“-Gelenkobusse (Abb. 12) und Solobus „260T“, mit denen dann u.a. in Eberswalde die damalige „Max-Reimann-Siedlung“ (heute Brandenburgisches Viertel) an das Obusnetz angeschlossen wurde.
Der SKODA hatte das Rennen verloren, weil das Werk erst 1989 kurz vor der Wende einen „15Tr“-Gelenkbus“ (Abb. 13) in Eberswalde testete.
Ab 1985 geschah nun das „Wunder von Eberswalde“. In diesem Jahr erhielt der VEB Kraftverkehr Eberswalde-Finow sieben, 1986 weitere sechs und 1990 noch einmal fünf neue ungarische „280T“-Gelenkbusse. Zusätzlich wurden zwischen 1987 und 1990 fünf IKARUSSE gegen die drei SKODA „14Tr“ von 1984 mit Potsdam getauscht. Der Potsdamer Betriebshof war zum Rangieren der Gelenkbusse zu klein. Auch aus Weimar kamen zwei „280T“, weil dort der Obusbetrieb beendet werden sollte. Damit hatte Eberswalde 1990 einen typenreinen Obusfuhrpark von 25 IKARUS „280T“!
Die ausreichende Obuszahl war nun vorhanden. Es fehlte nur noch das Oberleitungsnetz. Am 2. Juli 1990 war das erste Teilstück von der Boldtstraße bis zum Kleinen Stern in Finow fertig, sodass der Betrieb auf dieser Strecke aufgenommen werden konnte. Als vom vorgesehenen Ring die Teilstrecke von der Spechthausener Straße bie zur Kreuzung Potsdammer-/ Brandenburger Allee verdrahtet war, wurde auch dieser Abschnitt befahren. Ab 1. Juli 1993 war der Vollring am Kleinen Stern geschlossen, und es wurde der heute noch gültige Gegenverkehr der beiden Linien 861 und 862 (zunächst S1 und S2) realisiert.
So schön der typenreine Obuspark mit den 25 IKARUS-Bussen auch war, muss doch festgestellt werden, dass die Qualität der Fahrzeuge leider nicht gut war. Bis auf die letzten fünf waren alle Testfahrzeuge, die ihre einzelnen Bauelemente immer wieder an andern Stellen hatten. Um das an einem Beispiel zu erläutern: der Motor kann unterflurig vorne, mittig oder hinten oder auch oberflurig im Heck des Fahrgastraumes stehend stationiert werden. Viele andere Elemente werden für niederflurige Busse auch auf deren Dach verlegt.
Außerdem war die Karosserie nicht rostgeschützt. Hinzu kam wahrscheinlich auch die Meinung „alles Ostzeug taugt nichts“, und mit Fahrzeugpflege war man großzügig. So wurde der erste Bus bereits nach sechs Jahren a.D. gestellt, drei nach acht Jahren nach Tscheljabinsk (Russland) und zwei nach Szeged (Ungarn) verkauft. Von den 18 Bussen, die nur in Eberswalde gelaufen sind, erlebten nur sechs ihren zehnten Geburtstag.
Diese Einstellung berücksichtigend, fing schon 1992 wieder die Suche nach Oldtimern im Westen an; im Osten gab es so wie so nichts mehr. In Salzburg wurde man schnell fündig und erwarb fünf alte Gräf u. Stift „GE 110“, alte Kisten mit teilweise Sperrholzsitzen, etwas unerklärlich für die vornehme Stadt Salzburg. Aus heutiger Sicht wäre der kauf nicht nötig gewesen. Die Benutzung des ÖPNV hatte sich sehr bald um die Hälfte verringert.
Eberswalde hat sich mit dem Verlust von 25 % seiner Einwohner (53 000 auf 40 000) – vornehmlich junge Leute – aus einer Industrie- und Forststadt in eine Verwaltungs-, Schul- und Hochschulstadt mit einem kleinteiligen Industrie- und Gewerbepark und steigender Rentnerzahl entwickelt. Die Einwohnerzahl von ca. 40 000 wird offenbar z.Z. durch Zuzug von in Berlin arbeitenden Menschen, die – wie in Bernau – den Ort als Schlafstatt benutzen, und einzubürgernden Ausländern gehalten. Zum Zeitpunkt der Abfassung des Beitrages wird immer noch um den Erhalt des letzten Großbetriebes der Stadt – des DB-Ausbesserungswerkes – gerungen. Es darf nicht sein, dass Großbetriebe nur rund um Großstädte angesiedelt sind.
Der Eberswalder Obusbetrieb war und ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass man durch unermüdlichen Fleiß und richtige Einschätzung der Perspektiven sich aus Tiefschlägen wie am Ende des Krieges, der Ölkrise der siebziger Jahre mit ihren wirtschaftlichen Zwangslagen sowie der totalen Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens der 1990er Jahre, behaupten kann.