VEB Walzwerk Finow (WWF)

Die Stabstahlstraße

Für die Stabstahlstraße wurde auch die Bezeichnungen Altwerk, Werk II, Stammwerk verwendet. Die Stabstahlstraße bestand aus den drei Produktionslinien: Doppel-Duo-Straße, Trio-Straße und Hufeisenfabrik/Presserei. Ihr Standort befand sich in der Eisenspalterei, im Ortsteil Eisenspalterei.
Am 29. Mai 1946 wurde durch die SMAD (Sowjetische Militäradministration Deutschland) in Berlin-Karlshorst entschieden, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, die Kapazitäten des ehemaligen Stabeisenwalzwerkes „Hoffmann und Motz“ (H&M) in Finow-Eisenspalterei für die Wirtschaft der sowjetischen Besatzungszone zu nutzen.
„Das Werk wurde in Betrieb genommen einzig und allein aus dem Grunde, weil es ein Stabeisen-Walzwerk, das dünne Sorten walzt, in der sowjetischen Zone nicht gibt und der Bedarf an Stabeisen von Tag zu Tag dringender wurde“, wird in einer Betriebscharakteristik hervorgehoben.
Dem Entscheid in Karlshorst war eine Untersuchung bei „H & M“ vorausgegangen.
Der erfahrene Schlosser Willi Wellner hatte den Auftrag zu überprüfen, welche Voraussetzungen beständen, dieses seit über 15 Jahren stilliegende Werk wieder in Betrieb zu nehmen.

Doppel-Duo-Straße

Unter der Leitung des  Kaufmanns Wobbe aus Hennigsdorf als Treuhänder und Wilhelm Wellner als Vorsitzender des Betriebsrates begannen die Aufräumungsarbeiten.
Dreh- und Angelpunkt für die Inbetriebnahme der Doppel-Duo-Walzenstraße war die Dampfmaschine (500 PS). Mit äußerst primitiven Mitteln mußte die stark verrottete Anlage wieder in Gang gesetzt werden. Es fehlten Hebewerkzeuge zum Bewe¬gen der schweren Teile. Auch andere Werkzeuge waren nicht oder nur in geringer Anzahl vorhanden. So brachten einige Kollegen ihre Werkzeuge von zu Hause mit, um überhaupt arbeiten zu können.
Dabei waren die Arbeiter nur auf ihre Erfahrungen aus früherer Tätigkeit, ihr handwerkliches Geschick, ihren Einfallsreichtum und ihre Beharrlichkeit zur Lösung der Schwierigkeiten angewiesen. Viele Provisorien waren nötig – z.B. ersetzten Feuerwehrschläuche, die ständig befeuchtet wurden, den Transmissionsriemen der Dampfmaschine.
Der Treuhänder Wobbe war Kaufmann und ein guter Organisator, den die Arbeiter schätzten. Der als Technischer Leiter eingesetzte Dr.-Ing. Schimmel, ehemaliger Laborchef des Finow Kupfer Messingwerkes (FMK), legte dagegen eine solche Arbeitshaltung an den Tag, daß er nach 14 Tagen im Juni 1946 schon wieder abgelöst werden musste. Für ein halbes Jahr wurde Diplomingenieur Barthel aus Riesa delegiert. Erst mit dem Einsatz von Karl Kempny als Technischer Leiter im November 1947 wurde eine stabile technische Leitung geschaffen und weitere Ingenieure und Techniker gewonnen.
Am 21. Januar 1947 legte die Anordnung Nr. 391 der SMA Potsdam Maßnahmen zur Inbetriebnahme sowie Produktionssoll und -sortiment fest und am 31.Januar 1947 lief das Doppel-Duo an. In der ersten Schicht  wurden  sechs (6) t einfacher Stabstahl unter höchstem körperlichen Einsatz gewalzt. Aufgrund des hohen Bedarfs  an warmgewalztem Rund-, Sechskant-, Vierkant – und Flacheisen sowie Moniereisen für das Bauwesen wurde schon nach kurzer Zeit in drei Schichten produziert. Die Arbeitsbedingungen waren bestimmt durch Enge, Hitze und körperliche Anstrengung.
Die Walzer waren nach einem „Gang“ von 20 Minuten ausgelaugt. Pausen ergaben sich dadurch, dass im Einsatzofen nur von einer Seite beschickt und nach dem Erhitzen gezogen werden konnte. Walzzeit und Stillstand waren ungefähr gleich.
Während viele andere Betriebe öfter Stillstandszeiten durch Stromabschaltungen erlitten, fielen solche Störungen beim Antrieb durch die Dampfmaschine nicht an. Außerdem sicherte die eigene Turbine am Finowkanal auch meist den nötigen Strom, z.B. für die spärliche Beleuchtung.
Dafür machte eine andere Schwierigkeit zu schaffen. Es war kein Kran aufzutreiben. Monatelang musste alles ankommende und abgehende Material mit Hand über die Bordwand oder durch die Ladetür der Waggons per Hand transportiert werden.
Das waren beachtliche Mengen, die täglich umgeschlagen werden mußten: ca.75 t Knüppel, 30-40 t Kohlen, 60-100 t Fertigmaterial. Knüppel – auch Platinen genannt – sind die verwendeten Rohlinge.
Immerhin wog ein  Knüppel bis  6  Zentner (300 kg). Im Befehl Nr. 161 der SMAD vom 24.12.46 war das Werk Maximilianhütte Unterwellenborn verpflichtet worden, 1500 t Knüppel in den Abmessungen -100 x 100 x 3300 mm (=257 kg) sowie 65 x 65 x 4000 mm (131 kg) nach Finow zu liefern. Die mussten von 4 bis 6 Kollegen abgeladen und transportiert werden. Es war also eine große Erleichterung und trug bedeutend zur Steigerung der Arbeitsproduktivität bei, als im Sommer 1947 mit Hilfe von Monteuren des ABUS Kranbau Eberswalde bei der Firma „Möller und Schreiber“ (ehemalige Nagelfabrik am Finowkanal) ein Kran abgebaut und bei „H&M“ aufgestellt werden konnte.
Weitere Maßnahmen, die vor allem von Vorschlägen der Kollegen ausgingen und die Technologie und Arbeitsorganisation verbesserten waren:
Die Kalibrierung der Walzen wurde vereinfacht. Vorher mussten beim Wechsel 30×10 auf 40×10 oder auf 60×10 jeweils 12 Walzen in allen Gerüsten ausgewechselt werden, wodurch jeweils 6 Stunden Stillstand entstanden waren. Die Produktivität konnte auf 300% gesteigert und 48 % wertvoller Walzenstahl eingespart werden, da anstelle bisher benö¬tigter 76 Walzen nur noch 12 für das gesamte Flachmaterial ausreichten.
Es ermöglichte auch, die Stichzahl einzuschränken, das Walztempo zu erhöhen und eine schnellere Aufeinanderfolge von Stichen zu erreichen, wodurch auch die Qualität günstig beeinflusst wurde.
Während nach der alten Methode 60 Knüppel stündlich gewalzt werden konnten, waren es dann 85.
An dem Ofen wurde eine neue Methode zur Beseitigung der Schlackenrückstände durch Abschmelzen angewandt. Vorher musste sonntags der Herd ausgestemmt werden, 8 bis 10 Kollegen waren dabei acht Stunden beschäftigt, mit Meißel und Brecheisen an dem noch 1 000 °C heißen Ofengewölbe die Schlacke abzuschlagen, wobei immer die Gefahr bestand, dass die Magnesitschicht beschädigt wurde. Jetzt wurden nur noch die Hälfte der Zeit und ein Drittel der Arbeitskräfte wurden benötigt.
1947 wurden mit großem persönlichen Einsatz aller Kollegen  2 781 t Stabstahl gewalzt, das waren ganze 60% der vorgesehenen Menge. Hauptsächliche Ursachen waren die geringe Ofenkapazität, die häufigen und langen Umbauzeiten sowie vielfältige Störzeiten, hervorgerufen durch die veraltete Technologie. Außerdem fehlten erfahrene Walzer.

Die Trio-Straße

Der SMAD-Befehl Nr. 170. „Über Maßnahmen zur Steigerung der Produktion von Stahl und Walzmaterial im Land Brandenburg“ vom  Oktober 1947 zeichnete eine neue Perspektive vor. Der volkswirtschaftliche Bedarf für Walzeisen zur Herstellung von Textilmaschinen, Lokomotiven, Waggons, Maschinen für die Schuh- und Papierverarbeitung stieg schnell. Wichtig war Stahldraht der Abmessungen von 6-12 mm, der als Ausgangsmaterial für Kugellager und Schrauben dienen sollte. Außerdem benötigte der Bergbau dringend Hartmanganstahl für Bagger und Abraummaschinen sowie Turbinenschaufeln.
Für das „Stahlwalzwerk Finow“ wurde  für 1948 ein Produktionssoll von 8 000 t vorgegeben sowie die Inbetriebnahme der Trio-Straße und der Neubau eines Stoßofens angeordnet.
Die Trio-Straße befand sich in einem jämmerlichen Zustand, waren doch viele Teile für die Inbetriebnahme der Doppel-Duo-Straße ausgeschlachtet worden. Jetzt kamen aber die Erfahrungen beim Aufbau der Duo-Straße zugute, einige Teile konnten auch von anderen Betrieben mit Hilfe der SMAD und der Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) bezogen werden.
Im August 1948 konnte die Trio-Straße mit vier Walzgerüsten die Walzung aufnehmen, somit das Sortiment bei kleineren Abmessungen und Draht erweitert werden.
Endlich wurden im Juni 1949 die Einsatzöfen durch Stoßöfen abgelöst. Diese Stoßöfen wurden mit Gas aus der neu errichteten Koller-Generatorenanlage beheizt, die mit Braunkohlenbriketts anstelle Steinkohle betrieben wurde.
Die Triostraße lief aber noch ohne Vorstrecke und öfter mußten in Sonderschichten am Wochenende an der Doppel-Duo-Vorwalze 90er oder 105er Knüppel auf 60er vorgewalzt werden, damit sie an der Triofertigstraße überhaupt verarbeitet werden konnten, erforderte zusätzliches Erwärmen.
Im März 1950 konnte die 2000-Tonnen-Grenze im Monat überschritten werden.
Die Mängel der von Motz übernommenen Anlage wurden mit steigenden Qualitätsanforderungen und erweitertem Sortiment immer sichtbarer.
Am 2. Januar 1951 wurde die Triostraße angehalten und die Anlagen weitestgehend modernisiert.
Einige Teile für die Triostraße wurden dabei in Eberswalder Betrieben hergestellt. Der Guß der Kammwalzen erfolgte im „Hans-Ammon-Werk“, das Gehäuse für die Kammwalze sowie die Schwungradwelle wurden bei ABUS Eberswalde, beides auf dem Gelände des späteren VEB Kranbau, bearbeitet, Elektroeinrichtungen und Rohrleitungen kamen vom benachbarten EKM (VEB Rofin). Das Schwungrad wurde in Riesa gegossen und im Magdeburger Krupp-Gruson Werk (SKET) die Nuten gestoßen.
Große Schwierigkeiten bereiteten beim Umbau die ungünstigen Boden- und Grundwasserverhältnisse sowie die Enge des Werksgeländes.

So erforderten die Verlängerung der Walzwerkhalle für Trio- und Duo-Straße mit Einbau von Kranbahnen, Verplattung des Hüttenflurs,  Rollgängen im Hüttenboden, Umführungen, einer Rollenrichtmaschine, Glühöfen und Kühlgrube für Edelstähle, dass der unter dem Walzwerk durchführende Freigraben zugeschüttet, die Klärgrube verlegt sowie eine neue Schleuse gebaut werden mußten. Außerdem wurden ein neuer Dampfkessel, eine leistungsfähige Knüppelschere und ein 3. Generator in Betrieb genommen. Die Kranbahn der Verladung wurde verlängert und mit 2 Laufkatzen bestückt. Insgesamt wurden dabei 1,1 Millionen Mark investiert.
Es folgten weitere technische und organisatorische Veränderungen, damit die Stabstahlstraße den Bedarf der Volkswirtschaft an hochlegierten Walzstählen, von denen oft nur geringe Mengen pro Quartal benötigt wurden, abdecken konnte. Spaßig nannten sie sich die „Apotheke der Metallurgie“.
Nach der Inbetriebnahme des  mechanischen Rechenkühlbettes  im Stabwalzwerk im März 1961wurde  im Juli 1963 der Antrieb der Doppel-Duo-Straße vollständig elektrifiziert. Mit weiteren Maßnahmen zur Mechanisierung 1965 fiel viel körperlich schwere Arbeit weg und 15 Arbeiter konnten eine andere Tätigkeit übernehmen.
1967/68 veränderte sich die Produktionsstruktur grundlegend. Während bisher Doppel-Duo und Trio gleichzzeitig liefen, jede für sich umgerüstet wurde, wurde danach nur jeweils an einer Straße gewalzt, die andere umgebaut. So wurde die Ofenkapazität besser ausgelastet, Stillstandszeiten und eine Walzmannschaft eingespart. Der Gesamtausstoß verringerte sich zwar, aber das WWF konnte mit erhöhter Effektivität seine Verpflichtungen bei Spezialstählen erfüllen.
Mit der Umstellung auf Stadtgas wurde die Generatoranlage stillgelegt und weitere 18 Arbeiter für andere Aufgaben gewonnen.
Der Einsatz des industriellen Fernsehens an den Öfen 1978 sparte die Ofenwache ein.

Die Profilierung

Als Stahlleichtprofile (SLP) werden allgemein solche Profile bezeichnet, die aus warm oder kalt gewalztem Bandstahl durch Kaltformgebung kontinuierlich auf Profiliermaschinen hergestellt werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass SLP und warm gewalzte Profile keine konkurrierenden Erzeugnisse, sondern im Gegenteil zwei sich ergänzende Halbzeuge sind. Beide ermöglichen Fertigungsmöglichkeit verschiedenster Querschnittsformen bei gleichbleibenden Materialdicken. Kalt gewalzte Profile haben trotz Querschnittsminderung und dadurch geringerem Metergewicht ein gleiches bzw. höheres Widerstandsmoment als warmgewalzte Profile. Hinzu kommt eine Festigkeitssteigerung, die durch die Kaltformgebung ausgelöst wird.
Es gab seit den 50er Jahren Betriebe in der metallverarbeitenden Industrie, die auf Einzweckmaschinen spezielle Profile für die eigene Weiterverarbeitung herstellten.
Im Juni 1959 kamen die ersten SLP des WWF von einer Profiliermaschine Typ „Blema“, Hersteller VEB Blechmaschinenfabrik Aue, auf den Markt.
Erster Kunde war der VEB Hostaglas (Gewächshäuser) Dresden. Er bezog die Abmessung U 63 x 40 x 3.
Im Frühjahr 1960  wurde die erste Profi¬liermaschine Typ „Sundwig“ importiert und das WWF stellte erstmalig Stahlleichtprofile auf der Leipziger Messe aus.
Der erfolgreiche Einsatz der vielseitigen Abmessungen und Formen für den technischen Fortschritt im Maschinenbau und in anderen Industriezweigen führte zum Beschluss des Ministerrates vom 20.7.1967: Erweiterung der Profilierung als strukturbestimmendes Investvorhaben. Im September begannen die Bauarbeiten für die neue Halle unter Beteiligung folgender Betriebe: VE BMK Ost, PGH Bauhandwerk Solidarität (Finow), VEB Industriemontagen Leipzig (IML), Hutni montaze Ostrava.
Mit der Inbetriebnahme der Profilmaschinen Sundwig II und III in der neuen Halle der Profilierung in Anwesenheit von Minister Dr. Singhuber am 21. Juni 1968 fertigte das WWF – jetzt größter Produzent von Stahlleichtprofilen (SLF) in DDR – ein breite Sortiments von Stahlleichtprofilen aus Warm – und Kaltband.
1974 wurde eine zusätzliche Lager– und Umschlaghalle für den Bereich Profilierung errichtet und am 01.Juli 1977 nahm die Profilieranlage „Finow 1“ aus dem eigenen Ratiomittelbau, in Kooperation mit Schwermaschinenbau Wildau und der Werft in Szczecin gebaut, vorfristig die Produktion auf.
1979 wurde ein seit 1972 halbstaatliches Unternehmen in Arnsdorf/Sa. dem VEB Walzwerk Finow als Zweigbetrieb eingegliedert.
Sowohl auf dem Binnen – wie auf dem Außenhandelsmarkt musste WWF auf neue Anforderungen reagieren:

  • kleinere Losgrößen,
  • kürzere Liefertermine.

Das erforderte zusätzliche Umbauzeiten, so dass ca. 80% der Störzeiten darauf zurückzuführen waren. Dazu kamen
– Zusatzforderungen wie Konfektionierung, eingeengte Toleranzen, Meterverkauf,
– Sonderwünsche wie Lochungen, Zuschnitte, Konservierung, Beschichtung.
Zum Beispiel forderte die Landwirtschaft/Massentierhaltung ein gelochtes Profil für die streulose Haltung (Güllewirtschaft) von Schweinen.
1981 begann die Industrieerprobung von 4 Industrierobotern, um die körperlich schwere Arbeit des Abstapelns zu reduzieren und Profile bis 12 m Länge zu fertigen. Ab 2. Januar 1983 erfolgte der dreischichtige Einsatz an der Profiliermaschine „Finow 2“ zum Stapeln von U-Profilen.
Verzinkte Profile wurden seit 1987 geliefert.
Wie sich die Breite des Sortiments (Anzahl der Profile) bei der Profilherstellung entwickelte, zeigt diese Tabelle: